Neben der Business-Ebene kommen in Familienunternehmen immer auch die familiäre Ebene, Emotionen und Werte hinzu.
Damit unterscheiden sich Famlienunternehmen ganz klar von anderen Unternehmen und diese zusätzlichen Aspekte
erfordern eine besondere Berücksichtigung.
Eine große Sorge, die uns in Gesprächen mit Familienunternehmern immer wieder begegnet, ist, dass die individuelle
Standortbestimmung der nächsten Generation zu Streit und Konflikten innerhalb der Familie und verschiedenen
Familienstämmen führen könnte. Dies muss nicht so sein und ist eher eine Frage des Vorgehens und auch des Umgangs
mit den Erkenntnissen aus der Standortbestimmung.
Da jede Familie anders ist, gibt es die einzig wahre und für alle Familienunternehmen „richtige“ Vorgehensweise bei
der Auswahl und Vorbereitung der Nachfolgegeneration nicht. Jede Konstellation ist individuell. Ein wesentlicher
Schlüssel zum Erfolg ist in diesem Kontext daher die Anpassung des Vorgehens an die Bedürfnisse des jeweiligen
Unternehmens, der Familienstämme und einzelner Familienmitglieder.
Vor diesem Hintergrund haben wir ein maßgeschneidertes Programm für die Standortbestimmung und Entwicklung der
nächsten Generation von Familienmitgliedern erarbeitet und zusammen mit der Unternehmerfamilie Wittenstein umgesetzt
und gemeinsam weiterentwickelt.
Das Unternehmen WITTENSTEIN SE hat seinen Sitz im baden-württembergischen Igersheim und bietet mit weltweit rund
2.900 Mitarbeitern wesentliche Technologien für cybertronische Bewegung.
Die nächste Generation der Familie Wittenstein setzt sich aus drei Kindern unterschiedlichen Alters zusammen. Die
älteste Tochter, Dr.-Ing. Anna-Katharina Wittenstein, war von 2016 bis 2022 im Vorstand des Unternehmens und ist im
Verlauf unserer Zusammenarbeit 2022 in den Aufsichtsrat gewechselt. Die beiden Geschwister, Dr. Daniel Wittenstein,
Mitte 30, und Viktoria Wittenstein, Mitte 20, sollen in die Nachfolge stärker eingebunden werden. Alle drei
Geschwister sind heute schon als Gesellschafter involviert.
Berücksichtigung der emotionalen und der familiären Ebene
Unser Vorgehen schafft nicht nur Transparenz und Objektivierung bei der individuellen Standortbestimmung der nächsten
Generation. Es trägt vor allem auch den Besonderheiten und individuellen Bedürfnissen des Familienunternehmens
Rechnung, indem es familiäre, emotionale Gesichtspunkte ebenso betrachtet wie die unternehmerisch-geschäftliche
Ebene der Unternehmensnachfolge.
Möglich wird dieser Spagat durch den engen Austausch mit den Eigentümern/-innen, Gremien und Stakeholdern über
Zielsetzung und Vorgehensweise. Dabei werden familiäre Besonderheiten wie die Familienkultur und -struktur, gelebte
Werte sowie der unternehmerische Kontext, die Strategie und unternehmerische Herausforderungen evaluiert und im
Prozess berücksichtigt.
Bei der Standortbestimmung geht es nicht nur um bereits vorhandene Kompetenzen und individuelle Stärken, sondern auch
um die persönliche Entwicklung, die Vorbereitung und coaching-orientierte Begleitung auf zukünftige Rollen —
immer vor dem Hintergrund und mit dem Ziel der langfristigen Wertentfaltung auf individueller, familiärer und
Unternehmensebene. Es geht auch darum, die richtigen Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen — hier
leistet die Sicht von außen, die neutrale, objektivierte Perspektive und der Vergleich mit Führungskräften und
Nachwuchstalenten aus zahlreichen anderen Unternehmen einen wertvollen Beitrag. Der differenzierte Blick, gekoppelt
mit Benchmarks, erlaubt eine differenziertere Diskussion über zukünftige Rollen der einzelnen Familienmitglieder.
Üblicherweise werden vor allem Familienmitglieder, die bereits Erfahrung als Führungskräfte sammeln konnten und im
mittleren oder oberen Management tätig sind, in die Auswahl einbezogen. In unserem Programm wird die Methodik der
Standortbestimmung an junge Familienmitglieder mit wenig Berufserfahrung oder Erfahrung außerhalb des
wirtschaftlichen Umfelds angepasst. Außerdem berücksichtigen wir gezielt familienspezifische Fähigkeiten wie
Familienkompetenz und Gesellschafterkompetenz.
Stimmen der Familie Wittenstein zu den bisherigen Ergebnissen des Pilotprojekts
„Der gesamte Prozess des Assessments war für uns als Unternehmerfamilie sehr wertvoll. Er bildet eine gute Basis für
die Weiterentwicklung unserer Zusammenarbeit als ‚Aktive Eigentümerfamilie‘. Die Befassung mit den verschiedenen
Stärken und Entwicklungsfeldern der einzelnen Beteiligten und auch der Familie als Team hat uns gezeigt, wo unsere
Zukunft hingehen kann. Er wurde sehr professionell durchgeführt und hat exzellente Ergebnisse hervor gebracht. Sehr
empfehlenswert!“
Dr. Manfred Wittenstein, Unternehmensvisionär, Gesellschafter und Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats der
WITTENSTEIN SE
Standortbestimmung für Familienmitglieder mit unterschiedlicher Führungserfahrung
Das Vorgehen kann in drei Phasen unterteilt werden:
- Eintauchen und verstehen
- Analysieren und integrieren
- Beraten und entwickeln
In Phase 1 „Eintauchen und verstehen“ sind die Interviews mit verschiedenen Stakeholdern ein wesentlicher
Bestandteil, um die Familie und das Unternehmen in allen Facetten zu verstehen. Bei der WITTENSTEIN SE haben wir mit
der aktuellen Unternehmergeneration, dem Vorstand, dem Aufsichtsrat, Mitarbeitenden und weiteren
Familienmitgliedern, die im Unternehmen tätig sind, gesprochen.
In Phase 2 „Analysieren und integrieren“ wurde neben dem Assessment für Familienmitglieder mit umfassender
Führungserfahrung (Protokoll A), an dem die älteste Tochter und heutige Aufsichtsrätin Dr.-Ing. Anna-Katharina
Wittenstein teilnahm, zwei weitere Assessment Protokolle eingeführt. Anna-Katharina Wittenstein befand sich zum
Zeitpunkt unseres Interviews in der Übergangsphase von der Vorstandsrolle in die Rolle als Aufsichtsrätin. Ziel war
es, diesen Übergang reibungslos zu gestalten.
Stimmen der Familie Wittenstein zu den bisherigen Ergebnissen des Pilotprojekts
„Mit der Betrachtung des generationsübergreifenden Teamprofils haben wir eine Möglichkeit bekommen, uns nicht nur als
Familie — Vater/Kinder, Übergebender/Übernehmender -, sondern als Gesellschafterteam zu sehen. Das ist eine
ausgesprochen wichtige Perspektive, denn unabhängig davon, wer jetzt oder später welche für sich ideale Rolle
übernimmt: Wir müssen als Team in der Zusammenarbeit funktionieren — und zwar über Generationen hinweg,
unabhängig von unseren derzeitigen Kompetenzen und Erfahrungen.
Insofern ist der Startpunkt zwar das Thema‚ Auswahl von Nachfolgern/Richtige Rolle finden/entwickeln‘ — aber am
Ende geht es nicht nur um die individuelle Kompetenz, sondern um die als Gesellschafterteam. Das, was wir auf
Unternehmensebene inzwischen selbstverständlich machen, muss auch in einem professionellen Gesellschafterkreis
gemacht werden: durch Perspektivenvielfalt und unterschiedliche Stärken/Erfahrungshintergründe zu besseren
Entscheidungen bzw. Lösungen finden.“
Dr. Anna-Katharina Wittenstein, Gesellschafterin und Aufsichtsrätin der WITTENSTEIN SE sowie Tochter von Dr.
Manfred Wittenstein
Gleichzeitig wurden für sie konkrete Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung evaluiert, um in der Rolle der
Aufsichtsrätin effektiv und erfolgreich agieren zu können. Daraus folgte z.B. die Zertifizierung im Rahmen des
International Directors Programme der INSEAD Business School. Hieraus hervorzuheben ist aus Sicht von Frau Dr.
Wittenstein die umfassende Befassung mit der Rolle und den verschiedenen Aufgabenfeldern von Aufsichtsräten, sowie
die Bedeutung und Umsetzung guter Governance in Familienunternehmen wie auch Nicht-Familienunternehmen.
Protokoll B richtet sich an Kandidaten/-innen mit erster bis mittlerer Führungserfahrung. Bei diesem Assessment
werden Kriterien herangezogen, die auch zur Identifikation von Führungskräften generell in Unternehmen angewendet
werden, um die frühe Eignung für eine Führungsposition zu evaluieren. Dazu gehören neben intellektueller Gewandtheit
und zwischenmenschlicher Ausrichtung auch Selbstbestimmung und unternehmerische Kompetenz. Ergänzt werden diese
Kriterien durch Fähigkeiten wie Familienkompetenz und Gesellschafterkompetenz.
Dieses Assessment-Protokoll fand bei Dr. Daniel Wittenstein Anwendung, der nach seiner Promotion seit 2021 in einem
Beratungsunternehmen tätig ist und Projekt- und erste Führungserfahrung sammelt. Bei Daniel Wittenstein liegt der
Fokus aktuell darauf, möglichst viel und breite Erfahrung in den verschiedenen Führungskompetenzen zu sammeln und
parallel, soweit es die Zeit zulässt, einen Beitrag als aktiver Eigentümer zu leisten.
Bei der Standortbestimmung bei Kandidaten/-innen ohne berufliche Erfahrung (Protokoll C) geht es um sehr junge
Familienmitglieder, die z.B. gerade das Abitur gemacht haben, mit einem Studium begonnen oder es gerade
abgeschlossen haben. Es wird der bisherige Werdegang betrachtet, gefragt, wie es zu bestimmten Entscheidungen kam
und wo besondere Interessen und Neigungen liegen. Es folgt eine Analyse, welche Stärken sich daraus ableiten lassen
und welche unternehmenskulturellen Umfelder einen besonders guten Fit zwischen Persönlichkeit und Umfeld darstellen.
Mit Viktoria Wittenstein, der jüngsten Tochter der Familie, die sich nach dem Abitur nun im Studium befindet, wurden
die persönlichen Präferenzen und Motivationsfaktoren herausgearbeitet, die Rückschlüsse auf geeignete
Arbeitsumfelder und eventuelle nächste Schritte zur persönlichen Weiterentwicklung ermöglichen. Schon heute hat sie
Freude daran, sich in soziale und kulturelle Themen der Unternehmerfamilie einzubringen und hier einen Beitrag zu
leisten. Gleichzeitig möchte sie in die Gremienarbeit hineinwachsen und die Erfahrung und Unterstützung der beiden
Geschwister gezielt nutzen.
Stimmen der Familie Wittenstein zu den bisherigen Ergebnissen des Pilotprojekts
„Spencer Stuart hat einen sehr professionellen Assessment Prozess entwickelt, der auf einer klaren und transparenten
Methodologie basiert. Überzeugend war, dass dabei gezielt auf den individuellen Kontext eingegangen und abgeleitet
aus den Ergebnissen ein mehrdimensionaler Peer-Vergleich erstellt wurde. Insgesamt war diese externe Einschätzung
eine große Bereicherung und ich habe gute Ansätze für meine persönliche und professionelle Weiterentwicklung
mitnehmen können.“
Dr. Daniel Wittenstein, Gesellschafter der WITTENSTEIN SE und Sohn von Dr. Manfred Wittenstein
Die NextGen als Team
Nach Abschluss aller Assessments und Feedbackgespräche erfolgt die nächste Phase, in der die Ergebnisse an die
Auftraggeber berichtet werden. Dabei ist der eigentlich aus dem Coaching stammende und wichtige Grundsatz „do no
harm“ zentral. Das Ziel hierbei ist es, niemanden vorsätzlich oder ungewollt zu verletzen, sondern vielmehr zu
integrieren, Transparenz zu schaffen und dabei qualitative und differenzierte Gespräche innerhalb der Familie zu
ermöglichen, auf deren Basis valide und für alle Beteiligten gute Entscheidungen getroffen werden können.
In Einklang mit der zu Beginn festgelegten Vorgehensweise und der ausdrücklichen Einwilligung der
Beteiligten eine Zusammenfassung der individuellen Assessment-Ergebnisse vorgestellt. Ergänzend haben die Kinder
geschildert, wie sie den Prozess erlebt und was sie persönlich aus den verschiedenen Gesprächen für sich mitgenommen
haben und an welchen Themen sie gerne weiterarbeiten möchten. Bei Familie Wittenstein ist im Anschluss an diesen
Prozess der Wunsch entstanden, als Team stärker zusammenzuwachsen, um die Aufgabe der aktiven Eigentümerfamilie
möglichst gut wahrnehmen zu können.
So wurde 2023 ein erster Team Workshop umgesetzt, bei dem es darum ging, sich gegenseitig noch besser kennenlernen,
Vertrauen auszubauen, die Rollen und gegenseitige Erwartungen zu definieren und in den Alltag zu überführen. In dem
1,5-tägigen Workshop standen u.a. folgende Fragen im Vordergrund: Wie wollen wir als Team wahrgenommen werden? Wie
wollen wir uns zukünftig austauschen, kommunizieren, abstimmen? Wie wollen wir uns in den verschiedenen Gremien
positionieren und präsentieren? Welche Erwartungen haben wir aneinander? Welchen Beitrag kann/will jeder einzelne
aktuell leisten? Aber auch: Wie wollen wir mit etwaigen schwierigen Situationen oder Konflikten umgehen? Eine
Fortführung ist in Planung.
Fazit
Die nächste Generation als Team zu betrachten und sie als solche auf zukünftige Aufgaben und Herausforderungen
vorzubereiten, kann wesentlich zum Unternehmenserfolg und der langfristigen Sicherung des Unternehmens beitragen.
Gibt es doch zahlreiche Beispiele von Unternehmen, die an familiären Konflikten scheitern. Um dies zu vermeiden, ist
es überaus sinnvoll, die NextGen als Team so zusammenzuschweißen, dass anstehende Herausforderungen gemeinsam und
konstruktiv gemeistert werden können. Bei WITTENSTEIN steht — wie bei den meisten Unternehmerfamilien —
die langfristige Wertentfaltung auf individueller, familiärer und Unternehmensebene und die gemeinsame Verantwortung
in unterschiedlichen Rollen im Zentrum. Das gemeinsame Projekt hat hierfür wichtige Grundlagen geschaffen.
Über WITTENSTEIN SE
Mit weltweit rund 2.900 Mitarbeitern und einem Umsatz von 519 Mio. € im Geschäftsjahr 2022/23 steht die WITTENSTEIN
SE national und international für Innovation, Präzision und Exzellenz in der Welt der cybertronischen Bewegung. Die
Unternehmensgruppe besitzt eine überragende Kompetenz zur Beherrschung und Weiterentwicklung aller relevanter
Technologien der mechatronischen Antriebstechnik und umfasst sechs innovative Geschäftseinheiten. Entwickelt,
produziert und vertrieben werden unter anderem hochpräzise Servoantriebe und Linearsysteme, Servosysteme und
-motoren sowie cybertronische Antriebssysteme, u. a. für den Maschinen- und Anlagenbau, die Luft- und Raumfahrt oder
die Öl- und Gas-Exploration. Nanotechnologie und Softwarekomponenten ergänzen das Portfolio. Die WITTENSTEIN Gruppe
(www.wittenstein.de) ist an 25 Standorten und in mehr als 45 Ländern in
allen wichtigen Technologie- und Absatzmärkten vertreten.